Sterbliche Ungeheuer

Auf uns wirken die Mischwesen, Fledermausgestalten, Kängurus, Teufelsgestalten und wilden Männer ein wenig verstörend, denn sie sind physisch stark präsent und erzeugen eine Atmosphäre des bizarr Wilden, vielleicht sogar des animalisch Triebhaften. Doch obwohl die zweiköpfigen Säbelzahntiger ihre Reißzähne zeigen, gehörnte Riesenohrjünglinge auf Bretterhaufen stehen, Satan seine Verwandtschaft ins Rennen schickt und bärtige Männer ihre Pistolen in den Raum halten, attackieren sie uns nicht wirklich. Sieht man sich diese Figurenkonstellationen intensiver an, ist die leicht ironische Darstellungsweise des Bildhauers zu spüren; oftmals sind die Figuren mit dem Holzstamm verwachsen und somit in ein zeit- und ortloses Nirgendwo verbannt. Wenn sie dadurch nicht gebannt sind, bilden sie raumbesetzende Ensembles. Der Besucher kann es sich aussuchen, ob er in der Mitte ihre unmittelbare Nähe sucht. Geht er hinein, in den Bereich des Monströsen und des Ungeheuerlichen, wird er, ob es ihm gefällt oder nicht, ein Objekt im kraftvollen Reigen anthropologischer Modellsituationen. Er wird – Ironie unserer Reflexion – zu einer Variante des Menschseins. Die anderen Varianten, die unsere Morphologie karikieren oder optimal gestalten wollen, treten seit einer Ewigkeit in Märchen und Mythen auf. Auf Grund der rasanten Forschungserfolge im Bereich der Gentechnik und auf dem Gebiet des künstlichen Lebens kommen sie ihrer Realexistenz immer näher und Frankensteins Labor wird bald in Betrieb gehen.

Doch es ist eine Frage der Ethik, der Moral und der Politik, dies zuzulassen oder nicht. Das ist aber nicht unser Thema und nicht das des Künstlers. Hier befinden wir uns im Reich der Kunst. Der Bildhauer Jan Thomas stellt uns Geschöpfe vor, die in ganz traditioneller Weise aus dem Holzstamm geschlagen, gehackt und gesägt wurden. Jan Thomas’ „Sterbliche“ und seine „Ungeheuer“ verkörpern eher Gesten und Haltungen, als dass sie in Aktion sind und ihr Umfeld angreifen. Sie werden in den Kontext eines vom Besucher zu durchschreitenden Raumes gesetzt und erfahren eine sinnlich-ästhetische Crash-Situation, indem zum Beispiel eine vollbärtige, spitzohrige Satansgestalt auf einer Bretterkiste schreitet, in der ein ausgestopftes Wildschein steht. Die helle Holzskulptur wirkt in dieser Konfrontation realer. Sie scheint für die Zukunft mehr gewappnet zu sein als das präparierte Schwein. Das gleicht einer Reminiszenz an ein konkretes Tier und wird zur Trophäe des Animalischen. Zudem treffen hier zwei künstlerische Strategien aufeinander: der äußere Körper eines toten Tieres wird zum ästhetischen Objekt, zum Abbild seiner selbst; das Lebendige erhält durch den Tod ein Stück Unvergänglichkeit. Im Kontrast dazu arbeitet der Künstler aus dem „toten“ Holz eine Gestalt heraus, die es nur in der Phantasie des Menschen gibt – jetzt ist sie wahrhaftig und wirklich. Nur die Verwahrensweise des Konservierens gibt dem konkreten Tier eine Zukunft, indem es auf seine vergangene Existenz verweist. Die etwas gruselige, uns verunsichernde Anwesenheit eines ausgestopften Balges weckt Erinnerungen und löst ambivalente Gefühle in uns aus. Das Prinzip des Erinnerns nimmt Jan Thomas ebenfalls in der Gestalt eines bärtigen und spitzohrigen Hominiden, des „Grillmasters“ auf. Dieser sitzt in Denkerpose sinnierend auf seinem Holzsockel, frei nach dem Denker von Auguste Rodin gestaltet, und lässt uns rätseln, welche Themen er mit seinem Geist zu durchdringen versucht. Gleichsam steht er für eine Parallelentwicklung der menschlichen Gattung „homo sapiens“ und imitiert die Posen unserer Selbstreflexionen.

Die „Companions“, der „Headshrinker“, „Pandämonium“ und die anderen wilden Geschöpfe verkörpern mit ihrer naturalistisch-phantastischen Erscheinung etwas Tatkräftiges und etwas „Womögliches“. Diese Eigenschaften sind in Erstarrung geraten - ihre Träger wirken schutzbedürftig und sind uns letztlich ausgeliefert: Wie im Märchen warten sie auf ein Zauberwort, um aufzuwachen und dann zu reißen, zu erschrecken und zu zerstören – kurz, um unsere Ahnungen und Vorstellungen vom evolutionären Kampf der unkontrollierten Triebe auszuleben. Sind die verdrängten, abgründigen Ängste, Hoffnungen und Gelüste, die in unserem kollektiven und im individuellen Unbewussten lauern, gewissermaßen eine Art Zauberstab für die Erlösung dieser Geschöpfe aus ihrer Starre - und unsere Blicke bewirken dann ihre Erweckung? Sind ihre Triebe das absolute Böse an sich - das Vernichtende? Oder eher das in uns hausende Streben eines Überlebenswillens, dem schließlich egal ist, mit welchen Strategien und Energien er sich durchsetzen kann? Das sind Fragen, die sich höchstwahrscheinlich erst im Nachhinein einstellen, wenn unsere Begegnung mit ihnen in unserem Gefühlshaushalt eine Versachlichung erfahren hat, die wohl erst nach der Phase des Staunens, Wunderns und Erschreckens einsetzt.

Jan Thomas’ Hybriden aus Realismen, mittelalterlichen Bildprogrammen und Aliendesigns haben Verwandte und Gleichgesinnte in der Vergangenheit und Gegenwart. Diese sind in den christlichen Höllendarstellungen, in Märchen und Mythen der alten und neuen Welt zu Hause. Sie agieren heute quicklebendig in Fantasy- und Sciencefictionfilmen, in Computerspielen, im Spielzeugregal der Kinder, im Bilderkanon und in den Posen von Metal Bands, in obskuren Satanszirkeln, in den Tattoostudios, in unseren Träumen und in den Beichten auf der Couch des Psychoanalytikers. Diese Aufzählung ließe sich noch fortsetzen. Totenköpfen, Teufeln und Knochenmännern begegnen wir zudem oftmals auf T-Shirts, als Ketten- und Ohrgehängen und in Gestalt von Nippes für den privaten Grusel. Diese Artefakte des Dunklen, des Todes und des Bösen haben derart längst ihre einstige, existenzielle Durchschlagskraft eingebüsst. Sie dienen jetzt der kurzweiligen Unterhaltung und dem Lifestyle - ihre Kraft scheint gebrochen zu sein. Das wäre die eine Beobachtung. Die andere wäre die vom wiederkehrenden Auftreten der Monster und Mischwesen in den Ateliers und Ausstellungsräumen. Damit sind nicht die Trash- und Parodievarianten gemeint. Denn man hat den Eindruck, es geht bei einigen um eine ernsthafte Weitererzählung von Mythen, um mit ihnen ins „verkopfte“, verplante und rationalisierte Bewusstsein die vitalisierenden Ströme des Dionysischen einfließen zu lassen - und das möglichst dosiert. Jan Thomas gehört zu den „Erzählern“, die sich in einigen Werken bewusst in die Tradition unserer abendländischen Höllen- und Todessymbolik, stellen. Für mich ist die Skulptur „Black master“ – zum Beispiel – eine solche Arbeit. Der Knochenmann wird von zwei schlangenförmigen, mehrköpfigen Wesen flankiert und könnte eine eigenwillige Variation auf den mythischen Höllenhund Kerberos sein, der den Ausgang aus der Unterwelt bewacht. Die Skulptur wirkt ebenfalls wie ein Wächter vor dem Totenreich. Sie markiert eine Grenzlinie zwischen dem Davor und Danach - ist sie erst einmal überschritten, gibt es kein zurück mehr. Das Skelett – der verbildlichte Tod – gehörte Jahrhunderte lang zum festen ikonografischen Bestand der abendländischen Sepulkralkunst. Ebenso tauchen Skelette in der indischen und mexikanischen Kunst als Verbildlichung des Todes oder eines Todesgottes auf. Im christlichen Verständnis ist es ein „memento mori“ und verweist auf die Vergänglichkeit unseres Lebens. „Ich war, was Du bist - Du wirst sein, was ich bin.“ – ist ihr in unterschiedlichen Varianten bekannter Sinngehalt.

In den vorgestellten Holzschnitten nimmt Jan Thomas unmittelbar Bezug auf die Zeichnungen von Sandro Botticelli (1415–1510) zur „Göttlichen Komödie“ von Dante Alighieri (1265–1321). Besonders interessiert er sich für die Teufels- und Fabelgestalten, die voller Leichtigkeit Gebärden des Bedrohens und des Malträtierens einnehmen. Aus dem bildnerischen Kontext herausgelöst, werden sie zu emblematischen Zeichen. Sie behaupten sich an dem ihnen zugewiesenen Ort der Hölle und erfüllen so eine Mission, die im christlichen Weltenplan notwendig ist. (Wir erinnern uns, dass Luzifer, der „Oberteufel“, vor seinem Sturz in die Hölle ein Engel in unmittelbarer Nähe Gottes war, der danach in der Unterwelt sein eigenes Reich aufbaute und so im Plan Gottes seinen Platz hat.) Ab und an zeigen Satan, Luzifer, Beelzebub oder wie sonst die Höllengestalten bezeichnet werden, in den Holzskulpturen ihre Hörner oder Tierhufe. So gemahnen sie, gewissermaßen incognito, an das Höllenreich, das wiederum im christlichen Sinne ein Ort des ewigen, qualvollen Lebens ist. In anderen Mythen, wie in den altägyptischen oder buddhistischen, kann die Unterwelt ein Ort des Durchgangs oder der Katharsis für die zu prüfende Seele der Verstorbenen sein.

Daraus ergibt sich vielleicht die Frage, welcher Ort ist dann ein Ausstellungsraum, in dem wir den Dienern und Wächtern der Unterwelt, es kann auch die Unterwelt unseres Seelenhaushaltes sein, gegenübertreten? Die Antwort kann der Betrachter wohl nur ahnen, wenn er spürt, dass unser zwanghaft kontrollierter Vitalitätshaushalt sich gern diesen anderen Seiten nähert, wissend und unwissend zugleich.

Armin Hauer im Juli 2010

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»Schöne neue Welt«
Die Figureninstallationen des Hallenser Bildhauers Jan Thomas

Die Besucher des Ateliers am Böllberger Weg staunen über das Figurenpersonal, welches der 36-jährige Bildhauer Jan Thomas dort in friedlichem Miteinander versammelt. Entgegen der Meinung, das Thema der menschlichen Figur sei verbraucht, ringt er in seinem Schaffen stets mit ihm, erstaunlich kombiniert mit mutiertem Tierpersonal. Seine Helden stemmen sich gegen Abstraktion und Minimalismus. Jan Thomas´ Arbeit geht weit über Material- und Formexperimente hinaus. Mit seinen Skulpturen konzipiert und baut er Installationen, die den Betrachter als Verwunderten, als Staunenden, als Betroffenen einbeziehen. Vor zehn Jahren begann der in Salzgitter geborene Jan Thomas das Studium der Bildhauerei an der Burg Giebichenstein, Hochschule für Kunst und Design in Halle an der Saale. 2001 bis 2003 schloss er ein Meisterschülerstudium bei Professor Bernd Göbel ebenfalls dort an. Bereits während der Studienjahre erregten seine Werke Aufmerksamkeit und er erhielt mehrere Stipendien, unter anderem für einen Arbeitsaufenthalt in Athen und einen in Paris, sowie verschiedene Kunstpreise. Mit dem Ablegen des Diploms vor sechs Jahren, folgte nicht nur der Kunstpreis der Dresdner Bank "Ars Halensis", er suchte sich auch ein neues Domizil für seine Arbeit und fand es schließlich auf einem alten Industriegelände im Südwesten von Halle. Leergezogen standen dort große Hallen zur Verfügung und in einer davon installierte Jan Thomas Atelier und Werkstatt. Unerwartet idyllisch gelegen - es sind nur drei Schritte zur Uferböschung der Saale - kann er dort mit lautem Gerät arbeiten und Werke in Ruhe reifen lassen.

Was dem Hallenser auf unverwechselbare Weise gelingt, ist die Verankerung seiner Figurenwelt in der Gegenwart. Niemals lassen die rohen Materialspuren vergessen, dass es sich um Kunstprodukte handelt: Pappelholz wird mit der Kreissäge bearbeitet, Formate unterschreiten die reale Lebensgröße. Die Figureninstallationen scheinen seltsam erstarrt und doch lässt der erste Eindruck sie vertraut erscheinen. Erst beim zweiten Hinsehen stellt sich ein befremdliches, ja unangenehmes Gefühl ein. Absurdes, Unheimliches und Gefährliches wird sicht- und spürbar. Jan Thomas´ Installationen wurzeln in der Kulturgeschichte der Menschen. So sind zum Beispiel die seltsamen Mischwesen zwischen Mensch und Tier ohne die Ägypter nicht denkbar. Dabei pflegt er einen spielerischen Umgang mit der Tradition. Erkennbar, wenn er vier Holzhunde einen lebendigen Aal, der in einem Aquarium schwimmt, beobachten läßt. Oder wenn er eine ganze Kuhherde auf den Plan ruft, deren Hirten jedoch ein merkwürdig verändertes Aussehen haben.

Sie gehören zu der von Jan Thomas erfundenen Spezies der "bodycharmers". Widernatürliche Auswüchse kennzeichnen diese aus bekannten Lebewesen mutierten Gestalten. Liebenswerte Tiere werden unheimlich, scheinbar gut bekannte Artgenossen ungestalt und verdächtig. Verblüffenderweise werden die Figuren aber nie zu Karikaturen. Allerdings positionieren die Installationen den Betrachter zwischen purer Angst und Begeisterung - ob solcher eher zukunftsorientierter Vorwarnungen.

Die Thomasschen Schilderungen von Bedrohlichkeiten beruhen nicht nur auf der Erkenntnis, dass der Künstler, wie es Stephan Balkenhol einmal ausdrückte, "die Macht, Dinge wirklich werden zu lassen, die es nicht gibt" besitzt, sondern auch auf der Ausnutzung bildhauerischer Ausdruckskraft auf der Basis eines existentiellen Blickes auf die Welt. Dieser Blick treibt Ängste hervor, wie sie der Schriftsteller Aldous Huxley schon vor mehr als 70 Jahren in seinem Roman "Schöne neue Welt" beschrieb. Seither ist die Vision einer endgültig technisierten und kollektivierten Welt, die ein Glück für Jedermann verspricht, nicht mehr frei von Missbehagen. Die Versprechungen des Machbaren, der Genmedizin, der Schönheitsoperationen, der Ersatzglückshormone - die Vorstellungen des stetigen Schneller-Höher-Weiter - sind Vielen nicht erst seit den jüngsten Klimaprotokollen verdächtig. Doch Jan Thomas erschafft nicht nur ein Bestiarium zukünftiger Tage. Er verquickt es mit aktuellen Ängsten und Befindlichkeiten. Denn wir erleben schon heute manche wüste Vorstellung der Science Fiction des letzten Jahrhunderts als Realität.

Im "Wildpark" (2005/06) etwa findet sich der Betrachter inmitten einer Gruppe von Säbelzahntigern. Ausgestorben vor Jahrtausenden, treten sie hier kampfesmutig und doppelköpfig auf. Sie sind drachenähnlich mutiert und angriffslustig. Lediglich ein kleiner Junge stellt sich gegen sie. Er erhebt spielerisch seine Finger als Pistolen gegen die Untiere, er wird nichts ausrichten können. Die Dramatik der Szenerie ist aber noch unheimlicher. Merkwürdige menschliche Gestalten - im Verhältnis viel zu klein - klettern an Wänden hoch. Sie tragen Mäntel, Masken und Waffen. Fliehen sie oder bringen sie sich in Position? Noch deutlicher beschreiben die "Burka" genannten Figuren die Gratwanderung zwischen Phantasie, Spiel und Ernst. Hier ist das Motiv der Fassadenkletterer auf Masken reduziert. Deren Blickfeld ist eng. Keiner schaut hinaus. Es kann aber auch keiner in sie hineinsehen. Doch dann blitzt ein Bart hervor - und die Installation bekommt einen tagespolischen Bezug. Islamistischer Terror und unsere diffuse Angst davor werden sichtbar. Die Skulpturen von Jan Thomas leben aus ihrer bildhauerischen Kraft und künstlerischen Dimension. Diese lässt sich nicht in Worte auflösen. Das ist seine Stärke. Ebenso, dass Jan Thomas wohl keine Vision oder Utopie beschreiben möchte. Denn die Gefühle, die er im Betrachter wachrüttelt, sind sehr gegenwärtig: Unsicherheit, Angriffslust, Verteidigungsdrang. Er positioniert zwischen purer Angst und Begeisterung ob exotischer Vorstellungen. So wird die Beklemmung zwischen der Lust am Beobachten und dem Drang wegzusehen spürbar. Gleichzeitig weckt der Bildhauer uralte, vorzeitliche Instinkte für die Bestie, für Urkräfte und die Natur - und das Gefühl, dass die Natur sich wohl doch nicht überlisten lässt.

Christine Dorothea Hölzig

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Chimären körperlicher Bedrohung

Wenn wir den "Wildpark" von Jan Thomas betreten, glauben wir uns zuallererst vielleicht eher in einem Gartencenter - sollen hier etwa schnöde nebeneinander abgestellte Figuren für die heimische Rabatte ausgestellt sein, die mit klassischen Repliken dem kulturellen Anspruch des Gartenfreundes genügen? Der zweite Blick lässt alle Erwartungen an fürstlichen Dekor in heimeliger Vertrautheit zusammenbrechen. Wir selbst werden zur Figur, umgeben von absurden Auswüchsen körperlicher Bedrohung. Bis in Höhe der Magengrube fletschen hier janusköpfige Säbelzahntiger die Reißzähne, dort sind es gezückte Pistolen aus vermummten Figuren, die ihr Gegenüber stellen. Der Betrachter besetzt diese Leerstelle. Zunächst unübersichtlich, gehen diese Ensembles vielleicht doch im nächsten Moment, auf ein Zeichen aus dem Augenwinkel, in den Angriff über. Doch die Skulpturen bleiben stumm, die angespannte Atmosphäre unwägbar, merkwürdig schwebend, bedrohlich stumm.

Doch stimmt das eigentlich? Egal welche der Skulpturen: Immer haben sie auch den Ausdruck bemitleidenswerter Selbstverfangenheit. Im Crossover der Versatzstücke aus grauer Vorzeit und tagesaktueller Bedrohung durch politisch-religiöse Untergrundkämpfer bekommen diese Statuen sofort auch immer etwas unbeholfen Groteskes, etwas Ulkiges. Es sind Opfer von Chimären ihrerselbst. Der eine geifert mit den Zähnen, die er zur Einschüchterung seiner Gegner ausgebildet hat und die ihm dann selbst zum fatalen Verhängnis einer Maulsperre geworden sind. Der andere eifert in einem vollkommen plumpen Ganzkörper-Umhang, mit verräterisch hervorlukendem Bart, selbst befangen in seiner Tarnung. Die Absurdität wird zur Hybris. Der Säbelzahntiger reckt uns sein Maul auch noch mit doppeltem Kopf entgegen und kann uns gerade dadurch mit seinem irrenden Blick nicht fixieren. Und was sollen diese "mutmaßlichen Terroristen", die die Arme unbeweglich, rechtwinklig am Kölrper halten, denn wirklich in Schach halten? Wohin geht es, wenn sie die Wand empor krauchen wie Maden, oder in der kompakten Form von Quallen an ihr hochschweben, so gefährlich etwa wie aufsteigende Engelchen? Ironie ist zweifellos im Spiel, das beweisen nicht erst die Titel, wie beispielsweise "Drei Helden und ein Luschi".

Es ist gerade dieser spielerische Zug in der variationsreichen, drängenden Bildkraft von Thomas, der jede illustrative Lesart verhindert. In seiner Fortführung von Bildhauerei zwischen Skulptur und Installation wird mit den Mitteln von Dekonstruktion, Sampling und erneuter Permutation jedes Verlangen des Beobachters nach linearer Narration durchkreuzt. Eine vom Körper ausgehende, berstende Imaginationskraft unterläuft mit den absurden Verfremdungen der Gliedmaßen und Köpfe, mit den widernatürlichen Auswüchsen und widersinnigen Zusammenstellungen die Möglichkeit der Konsumation als eine bloß unterhaltsame Schilderung der Bedrohungen der Menschen vom Anfang ihrer Evolution bis zum heutigen Tag.

Ob es einem nun als Kulisse für einen Horrorfilm mit Tiermenschen und Menschtieren vorkommt wie die Stellprobe zu einer Parodie anmutet, in der die Komödianten als Wolperdinger verkleidet sind. Die Handlung einer möglichen Erzählung ist angehalten. Die räumliche Konstellation hält uns gefangen. Die Zeit bricht ab. Hier wird keine allegorische Fabel erzählt und kein vordergründiger Symbolismus hochgehalten. Es gibt einfach keine metaphorische Brücke, über die wir im Werk von Thomas in seine subjektive Kunstsprache wandeln könnten, mit der wir die Bedeutung einer Parabel auf die Menschheitsgeschichte entschlüsseln können und über die wir mit dem Wissen seiner Weltsicht zurückzukehren vermögen. Alles ist hier Konkretion. Dieser Wildpark ist bildhauerisches, nicht literarisches Substrat. Mit der stummen Magie von Totems überträgt sich die Kraft der Figuren auf unser Körpergefühl.

Zwar operiert Thomas mit postmoderner Geste: greift in das Bestiarium unserer Evolution ebenso wie in die mediale Nachrichtenflut unserer Tage. Doch die Wirkung der ineinander verschmolzenen Motive hat viel mehr mit Existentialismus zu tun und betrifft unsere persönliche Befindlichkeit im Zeichen von Angriff und Verteidigung. Es sind private Ängste und Nöte, die uns zwischen den Skulpturen beschleichen und es ist unsere eigene Unsicherheit, die sich in einem befreienden Lächeln gegenüber diesen geschichtslosen Raubtieren ausdrückt. Bei diesen Attentaten war das Opfer zunächst nicht offensichtlich.

Florian Pelka, Berlin 2006

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megazoo
Allegorien zur Conditio humana der Gegenwart

Die Arbeiten von Jan Thomas thematisieren zeitlos existierende anthropologische Muster, die in mythologischen und archetypischen Motiven, in kollektiven Ritualen und religiösen Offenbarungen ihr zwar verborgenes, aber fortdauernd latentes Dasein haben. Die zivilisatorische Komplett-Durchformung der Welt verdeckt heute, dass der Mensch so ist, wie am ersten Tag - in Hybris triumphierend über die Natur, zugleich durch den eigenen sterblichen Körper sehnsuchtsvoll mit ihr verbunden und getrieben von der illusorischen Möglichkeit, durch anmaßende Gestaltungsmacht den Skandal des nur naturbedingten Seins endgültig zu unterbinden. Im künstlerischen Medium der (nach wie vor) archaisch anmutenden Holzskulptur lässt Jan Thomas kultbildhafte Figurenensembles entstehen, die man als allegorische und methaphorische Interpretationen jener "Conditio humana" verstehen kann, die heutige Fanatiker von Sozio- und Biotechnologien mit dem animalisch die Keule schwingenden Homo Erectus der Frühgeschichte verbindet.

Den meist vielfigurigen Installationen ist eine merkwürdige Aufhebung von Zeit und Geschichte eigen: In ihnen erwachen die schreckeneinflößenden Fetischfiguren von Stammesvölkern zu neuem Leben; setzen sich die gewaltige Skulpturenarmeen chinesischer Kaiser erneut in Bewegung; beunruhigen metaphorische Verfremdungen und expressive Übertreibungen wie bei surrealen Bildern; schafft die Material- und Objektpräsenz der Holzskulpturen einen körperbezogenen Widerstand, wie er der Installationskunst der 1960er Jahre eigen war, scheinen außerdem die euphorischen Technikvisionen der Sciencefiction zur morbiden Form zu erstarren, als hätten sie plötzlich ins Gorgonen-Auge der antiken Medusa geschaut. Die Figurenensembles von Jan Thomas fusionieren klassische Material- und Arbeitstechniken der Bildhauerei mit raumbezogenen Kunstformen - dabei entstehen neue Ausdruckspotentiale innerhalb traditioneller Bildsprachen, die gleichermaßen mit aktuellen wie historischen Themenfeldern verbunden werden können.

In der Skulpturengruppe "Szenario: urban jungle" fand Jan Thomas vor zwei Jahren treffende Allegorien auf den menschlichen Körper im Schnittpunkt von Geschichte und Gegenwart, in denen die antiken Mischwesen aus Mensch und Tier mit den modernen Mensch-Maschine-Fusionen eine Staunen und Schrecken einflößende, hybride körperliche Verbindung eingingen. Die von gestängehafter Technik eingekeilten Wesen schienen jener unaufhaltsamen, dabei ganz freiwilligen Selbst-Roboterisierung des Menschen ein zeitgemäßes Kultbild zu errichten. Genauso wie die pathologischen Auswucherungen innerer Organe am äußeren Erscheinungsbild des Menschenkörpers ein Sinnbild für die somatisierten Ängste und krankhaft aufgeblähten Verdrängungen der kollektiven Psychologie darstellten.

Die neuen Arbeiten, unter dem Titel "megazoo" vereint, schaffen begehbare Erlebnis- und Denkräume, die vom Fortleben alter Mythen und tradierter ritueller Praktiken in Erscheinungsformen des gegenwärtigen Lebens zeugen. In der Installation "vier organchamers und Kuhherde" scheint jener rührselige Archetyp des "guten Hirten" als symptomatisches Sinnbild der Gegenwart inszeniert: Die idyllische Paradiesvorstellung, die scheinbar zeitlos von der harmonischen Eintracht des Menschen mit der Natur erzählt, hat sich zum Wahnbild gewandelt, seit das Vieh domestiziert, seit es durch Züchtung zivilisiert und quasi hominisiert ist - kurz: seit es dem menschlichen Gestaltungswillen restlos unterworfen werden konnte. Unübersehbar hält die Evolution der Natur mit der des Menschen Schritt - kein Zurück mehr möglich, sondern nur Vorwärts zum Androiden hin. Unter dem traurigen Viehzeug sind die noch traurigeren Hirtenfiguren mit ihren verletzlichen Organausstülpungen prophetische Sinnbilder des Posthominiden, der sich das Tier sprichwörtlich einverleibt hat und am Ende der selbstentfesselten Schöpfung als funktionaler Organoid triumphiert. In der gleichen Szene das dankbare Rindvieh nach Menschenmaß - hier auf unverfängliches Spielzeugformat geschrumpft, harmlose Liebeswesen, ein niedliches Wunschbild im krassen Gegensatz zur Kuh als Leistungseinheit der industriellen Landwirtschaft, wo sie als perfekte Maschine kapitalistischer Produktion dient, die in erster Linie eine schier unerschöpfliche Rohstoffressource darstellt und einer utilitaristischen Verwertungslogik unterworfen geradezu magische Metamorphosen durchlaufen kann - etwa, um als Gummibärchen oder als Designerschuh wiederzukehren, um als in Folien verschweißtes Supermarktangebot oder als staatlich subventioniertes Biogas eine mythische Apotheose zu erleben.

Die Installation "triple of cows" scheint dem gnadenlos ökonomisierten Vieh ein temporäres Denkmal zu errichten, das in seiner surrealen Schwerelosigkeit die Würde des einstigen Opfertiers wiederherzustellen vermag. Opferrituale waren Gaben des Menschen an die gefürchteten Götter; sie entsprachen einem demutsvollen Umgang mit den Geschenken der Natur. Und auch heute bleibt die Kuh trotz ihrer einzigartigen Verwertbarkeit ein kultisches Wesen, das geopfert wird für die humanbeschleunigte Evolution der Natur, denn Kühe gelten neben Essigfliegen, Mäusen und Schafen als liebstes Versuchsobjekt biogenetischer Forschung - am Tierleib konkretisieren sich die Schöpfungsvisionen der Gegenwart. Nur durch das Tier vervollkommnet sich die Menschheit seit Jahrtausenden und wähnt sich gottesgleich.

Die multimediale Installation "bin bei Peter" schafft schließlich eine tragisch anmutende Allegorie auf die illusorische Hybris des Menschen: Zurückgezogen in das marode Provisorium der eigenen Entwicklungslogik kommt Weltangst auf - sei es vor den fleischgewordenen Gespinsten der eigenen Schöpfungsfantasie oder vor der ewig währenden Unfassbarkeit und Unkontrollierbarkeit der Natur. Der humane Blick in die Welt entfesselt Gier und Grauen - und das zu jeder Zeit. Im "megazoo" der globalisierten Gegenwart ist der Mensch ängstlicher Wärter und edelste Züchtung in einem.

Joachim Penzel im Mai 2003

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hominisation

Der Körper betritt das kommende Jahrtausend als etwas, was uns einerseits am nächsten steht, gleichzeitig aber das Unklarste, Unbezähmbarste, Unkontrollierbarste darstellt. Als solcher wird er auch weiterhin ein privilegiertes Subjekt der gesellschaftlichen Manipulationsprojektionen bleiben. Die Sorge um das Äußere, durchtrainierte Körper, die Annäherung an das antike Schönheitsideal, all das sind für uns nurmehr Imperative der Konsumgesellschaft und in sportivem Sinne tauglich für die Beförderung des gesellschaftlichen Aufstiegs.

Das wahre Schablonisieren unseres Körpers folgt den normativen Ansprüchen der Gesellschaft, und die Werte, die von ihr über den Körper ausgedrückt werden, bedingen unser Verhalten: also Körperkult und Körperverwertung. Auffällig ist, dass im letzten Drittel der als "Schlachtfeld des Körpers" (und nicht der Psyche) bezeichneten 90 er Jahre die futuristischen Vorstellungen einer sich "vollständig wandelnden Welt" in der Kunst von Beiträgen über Körperbewußtsein begleitet werden. Das mag als Reaktion auf die technischen Möglichkeiten der Erzeugung von virtuellen Welten, die ja der Kunst selbst durchaus immanent sind, merkwürdig erscheinen.

Sieht man aber genauer, mit noch nicht ganz verdrängtem historischem Denken auf die sozialen Phänomene beim Installieren der neuen Informationsgesellschaft, so ist es nicht schwer zu konstatieren, daß das Körperbewußtsein, will man überhaupt davon sprechen, als eines der Abwesenheit und Auflösung des Körpers empfunden wird. "Wie kann ein derart alles körperlichen (aller Arbeit und allen Leidens, aller Aktivität) enthobener Mensch, ein sich nur auf >reine Information< konzentrierender Mensch leben, und ist dies noch Leben zu nennen? Überhaupt erst dies ist ein menschliches Leben zu nennen, und alle vorangegangenen Lebensformen sind im Vergleich dazu nicht mehr als vormenschliche Annäherungsversuche. Denn ein solches in der Kontemplation von selbstgeschaffenen Bildern geführtes Leben wäre ein Leben in der Muße, ein feierliches Leben mit dem anderen, für den anderen und angesichts des ganz anderen." Vilém Flusser.

Daß zu diesem mystischen Entwurf angesichts der sozialen Wirklichkeit Fragen gestellt werden, war zu erwarten. Und da haben wir es schon: Jonathan Crary, amerikanischer Professor für Kunstgeschichte an der Columbia University, (im Gespräch mit Hannah Feldmann) 1996: "Diese atemlose Anpreisung der neuen Informations- und Kommunikationssysteme ist aufs engste mit Negation, Heuchelei und Resignation verbunden ....Die disziplinarische Interaktion von Körper und Tastatur natürlich erscheinen zu lassen und unsere Vorstellung davon, was gesellschaftlich möglich ist, auf diese verkümmerte und unterwürfige Beziehung zu reduzieren, ist die wahre Errungenschaft der Werbekampagnen der Computerindustrie. (Und diese Welt läßt sich nur durch einen umfassenden Gedächtnisverlust, also durch Betäubung aufrechterhalten.)"

In diesem Kontext sehe ich die Arbeiten von Jan Thomas. Angesichts der Tendenz, daß wir nahe daran sind, nur noch Biomasse in einer Welt von Müll zu sein, sucht er Entsprechungen für das Verhältnis vom Menschen und seinem Körper zur urbanen Umgebung. Er begreift das durchaus als Materialisierung von Wirklichkeit. In seinen Gruppierungen von Plastiken und Grafiken gewinnt er dem Holz die physische Präsenz ab, die zwischen der ursprünglichen Direktheit der zersägten Oberflächen, der geglätteten Volumen und der visionären Kraft der Bildvoraussetzungen liegt.

Gibt es embryonale Würde? Ganz anders als im zeitgeistigen Talkshowgewinsel der Halbwahrheiten, wo es von wissenschaftlichen Schreckensszenarien bis zur Hoffnung auf die Unsterblichkeit für naive Seelen, die ein Produkt der zukünftigen Klonfabriken sein wird, alles zu konsumieren gilt, geht Jan Thomas von einem echten und starken Erlebnis aus. Der visionäre und gleichzeitig so verletzbare, aber auch Unabhängigkeit ausstrahlende Ausdruck seiner "vorgeburtlichen" Menschen erreicht auch uns. Keine sentimentale Betroffenheits- oder Empörungsheuchelei ist das, sondern der Vorschlag, uns selbst als Aliens im unendlichen Raum zu sehen, und über allen möglichen Machenschaften das Einmalige des Mensch-seins zu erkennen. Völlige Vertrautheit und gleichzeitige Fremdheit: stellen wir uns doch mal vor, wie wir uns in den Augen der Tiere gespiegelt sehen würden.

Diese ganzen Gitterkästen, Schläuche, Adapter und Tentakeln sind möglicherweise Prothesen, sie sind auch nach außen verlegte Organe. Außenwelt und Innenwelt verwechseln sich. Wo wir andernorts verkabelt sind, sind wir hier vernabelt. Menschen und Tiere haben gemeinsame Fruchtblasen. Die Kindlichen spielen vor dem Nichts das Spiel des Austauschs der Organe. Eine Schlange verführt hier niemanden, das war einmal, allerdings erscheinen merkwürdige Parallelen der "Bodycharmers" zur ausgetauschten Existenz der Umgepolten im Kultfilm "The Bodysnachers". Das ist eine unserer Grenzen, daß wir nicht wissen, woher wir kommen und warum wir so und nicht anders sind. Sind die Probanden der Diplomarbeit "SZENARIO: urban jungle" noch teilweise im Kampf mit den technischen Dämonen, verkrümmen und verspannen sich, so scheint die Sache jetzt ausgetragen. Im Kontrast zur bisher üblichen Extremsituation, die Körpererfahrung schmerzlich zur Gewissheit macht, liegt ein eigentümlicher Hauch von In-sich-gekehrtsein (fast Unschuld) über der Szenerie. Das Einsiedeln im eigenen Körper - d a s Körperbewußtsein? Es ist der Körper als Begrenzungshülle, aus dem wir uns nicht herrauskommunizieren können und jeder andere Körper erst einmal ein Fremdkörper ist.

Jan Thomas hat sich sehr genau und gründlich umgesehen. Seine Arbeiten sind bemerkenswert entschieden kalkuliert. Die letzten großen Gruppen zeigen, wie er mit Ruhe und selbstbewußter Sicherheit den Bildraum aufschneidet, sodaß die wenigen, genau plazierten Piktogramme sich in ungekünstelter Eindringlichkeit mitteilen. Den Hintergrund zu dieser Entwicklung mag eine Äußerung von Kiki Smith erhellen: "Ich komme von der Gestaltung der Innensicht des Körpers zur Außensicht. Einmal da angekommen, ist man inmitten der traditionellen Geschichte der Figuration. Ein großer Teil der historischen Skulptur handelt von der Manifestation des Spirituellen im Physischen und das interessiert auch mich." Hat man früher, in der Darstellung von menschlichen Hybridkörpern, das Wunder des Spiels des Lebens vorgeführt und, wohl nicht nur symbolisch, an absurde Kombinationen geglaubt? Durch die Entwicklungen in der Bio- und Gentechnik befindet sich unser Verhältnis, was ein Mensch ist und in Zukunft sein könnte, im Umbruch. Heute scheinen Wahrnehmungsprobleme zusehends zu Produzentenproblemen geworden zu sein. Die organähnlichen Körperteile, bei denen man gar nicht mehr ausmachen kann, ob sie vom Mensch oder vom Tier stammen, signalisieren die Wahrscheinlichkeit des Körpers als Fragment oder Produkt, so wie wissenschaftlich mit menschlichem und tierischem Zellmaterial experimentiert wird. Unversehens sind wir beim Spiel mit dem Leben. Die Bilder von Künstlern, Wissenschaftlern und der Populärkultur, die sich mit Gentechnik beschäftigen, sind alle mehr oder weniger reduzierte schematische Formen der Imagination. Das Problem liegt in der Tiefe der Symbolik, die in der Lage ist, die Idee zum Ausdruck zu bringen und darüber hinaus den Blick nach innen, zum "Menschlichen" zurückzuleiten. Ansonsten betreibt der Künstler Biodesign, was radikalerweise als Laborarbeit zu denken wäre, also lebensfähige Kunstwerke hervorbringen könnte... Die Maus mit dem Ohr war real. Seit der Renaissance ist das Künstliche und das Natürliche Thema in der Kunst. Die Romantik hat uns dann die ersten zusammengenähten Biomassen vorgestellt, die aktiviert werden. Jenseits der Faszination von "living fiction" und der ästhetischen Wirkung des Schocks und des Grauens, stellt sich (und uns) Jan Thomas andere Fragen. Es ist die Reflexion über die Position des Menschen in diesem neuen biotechnischen Zusammenhang, der für unser Verständnis die Voraussetzungen umstülpt. Er tut das, indem er die Möglichkeiten der Holzskulptur austestet und bewirkt dadurch auch gleichzeitig eine wohltuende Relativierung. Es ist darin gerade soviel "Produktion" in der Vervielfältigung der Doppelgänger-Reihen als nötig, und soviel an Variation, um dem einzelnen der totemistischen Vorschläge Raum zu lasse.

Ist die Kuh eine perfekte Maschine? In der kleinen Herde von Jan Thomas fällt diese verhängnisvolle Frage auf die Hirten zurück. Eine andere Circe ließ ihnen die Ausstülpungen gleich selbst wachsen, die sonst den Tieren so beschwerlich werden, wenn wir ihnen nur einen Zweck zugestehen. Als "Szene" allerdings sind wir dabei wieder in einer denkbaren bukolischen Landschaft. Eine Utopie?

Jan Thomas geht als zeitgemäßer Künstler sein Thema direkt und ohne Umschweife an. In der Klammer zwischen immanenter Ästhetik der Kunst und gesellschaftlicher Prämissen gehört er zu denen, die unvoreingenommen etwas sehr Reales in die Welt stellen.

Prof. Thomas Rug im August 2002

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